Mittwoch, 18. April 2012

Monkeymonster




Ich fahre mit der Monkey Erdbeereis holen




Es war einer dieser letzten wenigen heißen Tage. Endlich ein Tag, der ohne diesen waberigen Nebel begann. Dafür dörrte einem die Sonne schon morgens das Hirn aus.
Ich saß in einem Landgasthof am Chiemsee. Ich war hier her in die Anonymität geflüchtet. Mitten in das Bayern, wo es selbst am besten ist. Ein Weißbier zum Frühstück verhalf mir wieder zu einem kühlen Kopf.
Trotzdem fasste ich keine genauen Pläne für den Tag. Ich wollte nur eines: Mich nachher aufs Bike schwingen und cruisen. Ich hatte von so einem See gehört, er solle hinter einem Hügel liegen, und zwar „beschaulich“, wie meine Wirtin sagte, bei Unterwössen, der Unterwössener See sollte das sein.
Mein Motorrad stand in einer Scheune, es sollte mich dorthin bringen, und es würde es gut machen, das wußte ich. Schließlich war das nicht die erste Honda Monkey in meinem Leben. Die letzte hatte über 30 Tausend Kilometer drauf. Aber diese war nagelneu, Baujahr 2005. Ihr 4,5 Liter –Tank, mit dem Sprit schaffte ich bis zu 300 Kilometer, glänzte in der brennenden Morgensonne. Der Gepäckträger erinnerte mich, wie jedes mal, an die Frau, die ich wirklich geliebt hatte; viele Jahre war das her gewesen. Sie saß damals auf dem stabilen Gestänge, vielleicht nur 50 Zentimeter über dem Boden. Sie umarmte mich von hinten, rieb ihre Brüste an meinen Schultern und schlang ihre langen Beine um meine Hüften bis fast vor zum Lenkkopf. Ihre fleischfarbenen Badesandalen zerkratzten den Tank ein bisschen. Das habe ich ihr nie vorgeworfen und ich habe den Kratzer nie ausgebessert. Was soll’s, dachte ich und schob die Erinnerung beiseite und tief gebückt mein Bike raus auf die Wiese, die, wie ich zugeben muss, saftig war.

Ich sah die kleine so an und war froh, eine neue zu haben. Sie war unbelastet, sie war so rein. Genau das, was ich brauchte. Ich faßte an ihren Benzinhahn, drehte ihn nach rechts auf und spürte wie das Benzin in den kleinen 12 Millimeter Vergaser kroch, und bereit war, sich in die Luft zu sprengen. Mit dem rechten Fuß trat ich sie an, der Flipflop bog sich durch, aber der Kraftaufwand war überschaubar, trotzdem, nicht zu unterschätzen! Ich wollte schwimmen gehen, endlich mal das Gift aus meinen Körper jagen, die Mühen und Demütigungen der letzten Jahre heraus prügeln – mit Sport. Meine blauen Flossen, die ich aus dem Dorfladen hatte (offiziell mit der Absicht gekauft, sie einem Neffen mit zu bringen, obwohl ich gar keinen habe), befestigte ich auf dem Gepäckträger.
Der drei PS Motor dreht auf, sofort war er voll da, drückte satte drei Newtonmeter ans Hinterrad. Geschmeidig und mit der Routine eines Tierpfleger, der seit 20 Jahren Elefantenmist schaufelt, legte ich den ersten Gang ein und lies die Kupplung kommen. Die acht Zollräder walkten souverän über die Wiese, die kleine Böschung hinauf und auf die Straße. Zum Schalten braucht die Einscheiben-Ölbad-Kupplung kaum Kraft, federleicht lässt sie sich bedienen. Aber bei meiner alten war das auch schon so, schließlich ändert Honda seit vielen Jahren bei neuen Modellen nur noch die Optik, nicht mehr die Technik. Ich war im vierten Gang, brauste über die Straße am Kircherl vorbei. Beim Metzger holte ich mir noch eine warmes Wammerl und eine Leberkäsesemmel mit Weißwurst-Senf.
So beladen hatte die Monkey fast Probleme den steilen Berg im vierten hinaufzutöffen, aber da dacht´ ich mir, ach, schalte halt einen Gang runter. Es wurden dann zwei - irgendwie eine Metapher für mein derzeitiges Leben. Über den Hügel drüber sah ich den See, wie beschaulich er da unten im Tal lag. Ich brauste hinab, die Trommelbremsen verzögerten exzellent, kurz vor dem Eingang zum Strandbad machte ich sogar einen Powerslide, einfach so, zum Spaß. Ein Mädchen, das gerade mit Strandmatte und einem Rucksack von ihrem Fahrrad weglief, drehte sich verschämt nach mir um, aber weil sie nicht wusste, wohin sie das ratzende Geräusch stecken sollte, schaute sie wieder weg. Der Motor ist im Standgas nicht zu hören. Der 50er-Viertakter mit der obenliegenden Nockenwelle ist ganz arg leise, man hört kaum, daß er läuft.

Am Eingang des Strandbades kam ich nicht am Kiosk vorbei, ohne noch ein Weißbier zu trinken. Schließlich war ich in Bayern, der letzten Bastion alkoholischen Frohsinns. Ich lehnte lässig an der warmen Wand des kleinen Gebäudes, meine Monkey mit ihren 60 Kilos auf ihrem kleinen Seitenständer. Der Leberkäse war saftig.

Vorne am Seeufer war fast nichts los. Kaum Menschen, kein Wind. Ich wollte direkt am Ufer liegen. Ich setzte mich wieder auf mein Motorrad. Weil das Antreten des Motors mit dem Badelatschen unangenehm war, warf ich ihn mit der rechten Hand an. Kolben auf OT gefriemelt und kräftig durchgestoßen. Er kam sofort. Ich fuhr vor, an der großen Wasserrutsche vorbei, an der Bank für Rentner, an der hölzerner Liegeplattform auf der sich ein Mann in klassischer Badehose räkelte. Ich hielt kurz vor dem frisch geharkten weißen Kies am Wasser. „Hey“, hörte ich es neben mir sagen. Hatte ich jemand gestört? Werde ich nun, verdammt noch mal, wieder als Rocker beschimpft und vielleicht sogar vom Platz gejagt? „Die sieht ja stark aus!“, schnurrte eine leise, aber selbstbewusste Stimme links neben mir. Eine süße Maus lag auf einem rosa Handtuch. Es war sie, die Kleine vom Parkplatz. „Cooles Bike“, sage sie. Ohne zu zögern nahm sie meine Flossen von Gepäckträger und setzte sich drauf. Ihr machte es nichts aus, dass sich die Streben des Trägers in das zarte, aber feste Fleisch ihrer Backen wühlten. Sie schlang die Beine um mich und ich sollte losfahren. Und wir fuhren. Wie im Rausch, unbedarft, aufgefrischt. Es ging über die ganze Wiese, hoch zum Babyplanschbecken, rüber zum Kiosk und zurück ans Ufer. Unterwegs haben wir uns ein Eis geholt. Und so saßen wir dann da und schleckten. Ich probierte von ihrem Erdbeereis. Die Monkey stand neben uns. An diesem Tag schimmerte sie noch lange lieblich im Wasser.